G. Melville u.a. (Hrsg): Das Eigene und das Ganze

Cover
Titel
Das Eigene und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Religiosentum


Herausgeber
Melville, Gert; Markus Schürer
Reihe
Vita Regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter 16
Erschienen
Münster/Hamburg/London 2002: LIT Verlag
Anzahl Seiten
682 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Eberl Immo

Der im Sonderforschungsbereich 537 «Institutionalität und Geschichtlichkeit» an der TU Dresden als Teil des Projektes «Institutionelle Strukturen religiöser Orden im Mittelalter» entstandene Band will das «Individuelle» ebenso wie seine Ableitungen «Individuum» und «Individualität» als zentrale Begriffe abendländischen Denkens und damit Kristallisationspunkte zahlreicher historischer Diskussionen für die Untersuchung der mittelalterlichen Vita religiosa erschliessen. Der nach dem Vorwort der Herausgeber in Arbeitsgesprächen konzipierte Band hat durch die Mitwirkung von Gastautoren an Gestalt und Aussagekraft gewonnen. Er gliedert sich nach der einleitenden Darlegung der Aspekte zur Aporie von Eigenem und Ganzem im mittelalterlichen Religiosentum durch Gerd Melville in fünf Abschnitte. Nachdem die Einleitung Melvilles bereits den Rahmen des Bandes abgesteckt hat, geben drei Einzelbeiträge «Grundreflexionen». Neben der Darstellung der «partizipativen Identität, Selbstexklusion und Mönchtum» stehen Geschichten zum Thema Individualität und die «Revisiting the Twelfth-Century Individual».

Ein zweiter Abschnitt wendet sich dem «Einzelnen und Gott» zu. Franz Neiske zeigt anhand des Bibelzitats «Bei deinem Namen habe ich dich gerufen» Individuum und Seelenheil in der frühmittelalterlichen Klostergemeinschaft, wobei er sich insbesondere auf die Memoria abstützt. Auch die Beiträge von Piroska Nagy, Jennifer A. Harris und Stefan Müller stellen Individualität und Selbsterkenntnis in den Mittelpunkt ihrer Beiträge. Der dritte Abschnitt des Bandes «Persönlichkeit, Modell, Typ» geht im Aufsatz von Cristina Andenna der Frage nach «modelli di vita o fondatori di ordini» bei Stefan de Thiers und Stefan de Obazine nach. Achim Wesjohann sucht in frühen franziskanischen Quellen Indizien für das Individualitätsbewusstsein. Auch die weiteren drei Beiträge dieses Ab - schnittes beschäftigen sich hauptsächlich mit dem Bettelorden des 13. Jahrhunderts. Man vermisst hier eine Auseinandersetzung mit älteren Persönlichkeiten im Religiosentum wie zum Beispiel Odilo und Hugo I. von Cluny oder Bernhard von Clairvaux. Im vierten Abschnitt «Selbst, Identität, Gemeinschaft» gehen die sechs Beiträge auf das armenische Mönchtum, das Noviziat in der Regula Benedicti, das Kanonische Recht des 12. Jahrhunderts, Aelreds Darlegungen zum Gemeinschaftsleben und die Stellung des Individuums in der Mission und Seelsorge der Bettelorden ein.

Der fünfte und letzte Abschnitt «Das Individuelle und das Institutionelle» behandelt zuerst die Situation unter den cluniazenzischen Gewohnheiten und Statuten des 11.–13. Jahrhunderts, um sich dann in drei Beiträgen mit Klosterfrauen zu befassen. Neben der Darlegung des Verhältnisses von Abaelard und Heloise am Beispiel des Klosters Paraklet werden Klosterfrauen im Spannungsfeld zwischen Kommunität und religiöser Individualität aufgezeigt, während der letzte Beitrag der Auseinandersetzungen der Nonnen im Heilig-Kreuz-Kloster bei Meissen mit dem Diözesanbischof, dem Papst und den Zisterziensern von Altzelle nachgeht. Der Band stellt in seinen zahlreichen Beiträgen Phänomene aus dem weiten Bereich der mittelalterlichen vita religiosa anhand der Begriffe «Individuell», «Individuum » und «Individualität» eindrucksvoll vor. Neben eher theoretisch orientierten Untersuchungen stehen Fallstudien, die nach zahlreichen Einzelheiten religiöser Gemeinschaften fragen. Der Band umschliesst damit neben den aktuellen historischen Fragestellungen auch philosophische, literaturwissenschaftliche und soziologische mit ein. Insoweit markiert er einen neuen und weiteren Schritt in der Erforschung mittelalterlichen Religiosentums.

Zitierweise:
Immo Eberl: Rezension zu: Gert Melville, Markus Schürer (Hg.): Das Eigene und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Religiosentum (Vita Regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter, Band 16). Münster/Hamburg/London, LITVerlag, 2002. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr. 3, 2005, S. 366-367.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr. 3, 2005, S. 366-367.

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